Studienwochen in Wien und Hamburg

Zürich, 20.02.2019

Inklusion anderswo: ein anregender Blick über die Grenzen

In der Mitte ihres Studiums erkunden die beiden Studiengänge der Lehrerbildung die Bildungssysteme unserer Nachbarländer: Während der Studiengang Kindergarten/-Unterstufe in Wien Unterrichtsbesuche absolviert und Kontakte mit österreichischen Studiengruppen knüpft, begeben sich die angehenden Primarlehrkräfte nach Hamburg, um dort mitzuerleben, wie es dieser multikulturellen Millionenstadt gelingt, eine integrative Wirkkraft für weit auseinanderklaffende Gesellschaftsschichten zu etablieren, die bereits in den inklusiven Grundschulen ihre Anfänge nimmt.

Die Idee, die hinter dem Besuch fremder Schulsysteme steht, ist, bei den Studierenden einen Perspektivenwechsel zu initiieren: indem man mit einer gewissen Distanz betrachten kann, wie andere Akteure der gleichen Profession lehren und erziehen, wird es einem ermöglicht, die Stärken und Schwächen des eigenen Tuns wahrzunehmen und zu reflektieren!

Die Studienwoche in Hamburg – ein Highlight für alle Beteiligten

Hamburgs Bevölkerungsstruktur ist geprägt von grosser sozialer Ungleichheit: Neben den wohlhabenden Bürgern dieser Hafen- und Handelsstadt verfügt ein Drittel der Bevölkerung über einen Migrationsstatus, der zumeist mit einem sehr niedrigen Sozialstatus einhergeht. 20% der Kinder und Jugendlichen leben von Sozialleistungen – und im Jahr 2014 musste das Schulsystem sehr schnell Platz für zusätzliche 6000 Flüchtlingskinder schaffen. Die Herausforderungen für das Hamburger Schulsystem sind enorm. Daher erschien uns Hamburg als ideale Wahl für eine Studienwoche zum Thema «Inklusion im Dialog» – vor allem auch deswegen, weil die Antworten und Integrationsleistungen des Hamburger Schulsystems auf diese Herausforderungen originell und vielfältig sind und uns immer wieder zum Staunen bringen, nämlich:

Die Schulen begreifen sich selbst als «das Tor zur Welt» und leben dieses Motto auf vielfältige Weise: Da viele Kinder in diesen Brennpunktschulen von zu Hause zu wenig Unterstützung bekommen, wird der Schultag mit einem gemeinsamen, kostenlosen Frühstück begonnen. In «Familienklassen» lesen und lernen fremdsprachige Eltern gemeinsam mit ihren Kindern. Mit Projekten wie JEKI (jedem Kind sein Instrument) wird versucht, das kulturelle Kapital auch den ärmeren Schichten zu Gute kommen zu lassen.

Diese Schulen bewältigen jedoch nicht nur die migrationsbedingte Integration, sondern sind auch Pioniere bezüglich der Inklusion von geistig und /oder körperlich behinderten Kindern. Von dieser Erfahrung sehr beeindruckt zeigte sich dieses Jahr unser Student des «ecolsive»-Studiengangs, der in der Auswertungsrunde darüber berichtete, «dass mich gar keiner angegafft hat wie ich in die Klasse gekommen bin». Davon, dass es an diesen Schulen so normal ist, «anders» zu sein, erzählen auch die übrigen Studierenden, da es ihnen meist erst nach ein paar Tagen gelingt, die «Integrationskinder» einer Klasse zu identifizieren.

Als Besucher von Hamburgs Schulen erlebt man vor allem eins: hier ist jeder willkommen – jedes Kind in seiner Eigenheit – und auch wir «Schweizer» werden mit einer Offenheit und Herzlichkeit aufgenommen, die uns sofort das Gefühl geben, ganz selbstverständlich dazuzugehören. Diese grenzenlose Gastfreundschaft resultiert sicherlich auch aus der immer tatkräftigen Mitarbeit unserer praxiserprobten Studierenden in den Schulen. Die Hamburger Schulleiter/-innen sind stets beeindruckt von den Schweizer Studierenden, «die die Arbeit in den Klassen gerade sehen» und nehmen die Rückmeldungen dieser «critical friends» am Ende der Woche oftmals zum Anlass, um mögliche blinde Flecken zu identifizieren. Schon mehrere Male hat diese gewinnbringende Zusammenarbeit Früchte getragen und Studierende konnten für das dreiwöchige Schulpraktikum an diese Schulen zurückkehren!

Die integrativen Effekte einer solchen Studienwoche ergeben sich natürlich nicht nur aus den obligatorischen Schulbesuchen, sondern auch aus den vielfältigen ausserschulischen Aktivitäten, die eine Gruppe von 26 jungen Menschen in dieser Zeit so miteinander erleben kann: Während dieses Jahr die Männer des Studienganges die Gunst des Ortes für den Besuch eines Spieles des HSV Hamburgs nutzen konnten, zog es einige Frauen ins pädagogisch angehauchte Mary Poppins-Musical. Zudem gab es Gelegenheit für verschiedene Konzertbesuche, die allerdings weniger geschlechtergetrennt erfolgten.

Während wir zwei Dozentinnen über dem Inhalt dieses Berichtes brüten, erreicht uns das SMS einer ehemaligen Studentin mit dem Wortlaut: «Liebe Grüsse ans coole Hamburg – das war ja echt ein Highlight unseres Studiums!» – und genau darum haben wir ganz fest vor, noch viele Male wiederzukommen!