Evangelische Schulen haben ihre Daseinsberechtigung, darin war sich das Podium einig, nicht aber in der Frage, ob evangelische Schulen etwas Einzigartiges haben.

Evangelische Schulen – nötig oder überflüssig

Zürich, 15.05.2019

Die Debatten im Grossmünster haben vergangenen Samstag mit der Frage «evangelische Schule – wichtig oder überflüssig?» gestartet. Ursula Alder, die Rektorin des Realgymnasiums Rämibühl sagt im Interview nach der Debatte, «die evangelischen Werte sind die menschlichen Werte des Humanismus», an der sich auch staatliche Schulen orientierten. Das sei in dem Sinn kein Alleinstellungsmerkmal. Alder lobt aber die grosse Agilität von unterstrass.edu.

Frau Alder, die Ausgangsfrage des Podiums war: Haben evangelische Schulen heute noch eine Daseinsberechtigung? Was ist nun Ihre Antwort auf die Frage? Hat die Diskussionsrunde etwas an Ihrer Haltung geändert?

Ursula Alder: Gute Schulen, die Ihre Leistungsziele erreichen und die Persönlichkeitsbildung der Schülerinnen und Schüler unterstützen, haben eine Daseinsberechtigung. Meine Haltung hat sich diesbezüglich nicht verändert. Das ist bei unserer Schule, dem Realgymnasium Rämibühl, genauso der Fall wie beim Gymnasium Unterstrass. Deshalb ist es klar, dass unterstrass.edu eine Daseinsberechtigung hat. Ich wünsche alles Gute für die Zukunft.

Sie haben gesagt, dass unterstrass.edu sehr agil und innovativ ist.

Ja, es gibt Projekte wie zum Beispiel ChagALL, an denen ich das festmache. Ich habe bisher aber keine Antwort darauf gefunden, was den Unterschied macht, warum sich solche Projekte am Gymnasium Unterstrass realisieren lassen. Das interessiert mich nach wie vor.

Sie haben zu Beginn der Diskussion die Frage aufgeworfen, ob evangelische Schulen in puncto Sinnstiftung besser sind. Gute Schulen sollen Ihrer Ansicht nach Sinn und Freude an Bildung vermitteln.

Aus der Diskussion selbst habe ich nicht herausgehört, was diesbezüglich anders gemacht wird. Zwei Studenten haben aber in der Diskussion die Religionseinführungswochen am Institut erwähnt, die sie gut fanden. Ich weiss auch, dass es am Gymnasium ein gemeinsames Singen gibt. Das wäre bei uns unvorstellbar, rein schon wegen der Grösse. Das Singen hat auch etwas leicht Altbackenes, wobei ich mir gut vorstellen kann, dass dies eine gute Atmosphäre schafft. Für die Gemeinschaft und den Spirit kann es gut und wichtig sein. An einer Nischenschule, die das Gymnasium Unterstrass ist, lässt sich so etwas gut umsetzen, an einer staatlichen Schule kaum.

Der historische Theologe Martin Sallmann hat in der Diskussion Mut gemacht, dass die evangelischen Schulen das Evangelische behalten sollen – auch als Merkmal im Namen.

Ich persönlich kann es nachvollziehen, wenn evangelische Schulen für die Öffentlichkeit das Religiöse ablegen. Das bedeutet nicht, dass sie den Spirit ablegen. «Evangelisch» kann etwas Altbackenes, Rückständiges insinuieren, wo hingegen alle evangelischen Schulen, die ich kenne, etwas Progressives haben. Herr Sallmann empfindet es so, dass eine Schule die Identität aufgibt, wenn sie den Namen abgibt. Es stellt sich die Frage, wie man wie im Fall von Unterstrass mit dieser 150-jährigen Tradition umgeht.

Sie sprechen hier Verkaufstrategien an. Wie ist es inhaltlich gesehen? Sie haben in der Diskussion sehr für weltanschauliche Neutralität plädiert. Denken Sie, dass es einen Unterschied macht, wenn an einer Schule die evangelische Kultur gelebt wird?

Das hat mich im letzten Teil der Diskussion ein bisschen gestört. Es ist möglicherweise das Bild entstanden, dass öffentliche Schulen, die religiös neutral sind, gar keine Werte haben. Natürlich hat das Realgymnasium Rämibühl auch Werte. Die evangelischen Werte sind die menschlichen Werte des Humanismus, die man auch als areligiöse Person vertreten kann. Ich finde es wichtig, dass man nicht eine bestimmte Konfession herauspickt. Wir sind mit oder ohne Konfessionszugehörigkeit alle Menschen und pflegen die Werte der Gerechtigkeit, der Solidarität, der Nächstenliebe und auch der Neugier in der Bildung. Jede Religionsgemeinschaft pachtet doch diese Werte für sich – ich sehe es persönlich nicht so, dass dies nur evangelische Werte sind. Jede Schule muss doch Werte vertreten. Das sind die menschlichen und nicht so sehr die evangelischen Werte.

Jürg Schoch hat in der Diskussion eingebracht, dass es gut für die Persönlichkeitsentwicklung der Schülerinnen und Schüler ist, wenn sich Lehrpersonen nicht neutral verhalten, sondern sich mit ihrem Glauben oder ihren Leidenschaften einbringen. So können sich die Jugendlichen reiben.

Es gibt nur wenige Lehrpersonen, die bei uns stark im Glauben verankert sind und damit in Erscheinung treten. Für unsere Schülerinnen und Schüler ist klar, dass es sich um einzelne Personen handelt und nicht um die Haltung unserer Schule, die neutral ist. Sich an Eltern oder der Institution Schule zu reiben gehört zum Erwachsenwerden. Das können die Schülerinnen und Schüler auch bei uns gut. Es gibt beispielsweise Lehrer, die im Gemeinderat politisch tätig sind. Die politische Haltung eines solchen Lehrers ist somit klar. Die Schüler/-innen wissen, dass er verschiedene Rollen einnimmt. Mal sagt er etwas als Lehrer, mal als Mensch. Ich habe auch in der Diskussion schon gesagt, dass die freie Meinungsäusserung zur Mündigkeit beiträgt. Wenn hingegen eine bestimmte Religion im Zentrum steht, kann dies etwas unmündig machen, weil das Eine zum Ideal wird.

Wollen Sie unterstrass.edu noch etwas mitgeben?

Ich möchte allen Lehrpersonen gratulieren, die bei den vielen Projekten sehr engagiert dabei sind. Natürlich gratuliere ich auch der Schulleitung, die das mitinitiiert, stützt und möglich macht. Für die Schülerinnen und Schüler, die diese Schule besuchen, ist das sicher ein sehr gutes Angebot, das die öffentlichen Schulen komplettiert.

Herzlichen Dank für dieses Gespräch Frau Alder.