Inge Rychener (rechts im Bild) erklärt Studierenden, wie Kinder am leichtesten Deutsch lernen.

Deutsch als Zweitsprache am Institut Unterstrass

Zürich, 26.07.2019

Für gerechte Chancen auf eine Schulbildung bekommen Kinder Zweitsprache-Deutsch-Unterricht. Der Bedarf an Lehrpersonen ist gross, denn 26.5 Prozent der Bevölkerung haben einen ausländischen Hintergrund. Am Institut kann ein Zertifikat für Deutsch als Zweitsprache erlangt werden: Inge Rychener leitet den DaZ-Studiengang und erklärt im Interview, wie Kinder spielerisch Deutsch lernen.

Lehrpersonen, die im Kanton Zürich DaZ (Deutsch als Zweitsprache)-Unterricht erteilen, müssen als DaZ-Lehrpersonen zertifiziert sein. Am Institut Unterstrass wird neben einem Kurs «DaZ in der Regelklasse» auch ein CAS DaZ angeboten, der zu diesem vom Volksschulamt des Kantons Zürich anerkannten Zertifikat führt. Der CAS DaZ dauert rund zwei Jahre und umfasst 16 Präsenztage, Intervisionen, Coachings, die Arbeit in Lernpartnerschaften und Unterrichtsbesuche.

Rund 400‘000 Personen im Kanton Zürich haben einen ausländischen Hintergrund. Damit die Kinder der fremdsprachigen Bevölkerung gerechte Chancen auf Schul- und Bildungserfolg haben, besuchen viele von ihnen den DaZ-Unterricht: Ziele dieses Unterrichts sind die erfolgreiche Teilnahme am Regelklassenunterricht und die sprachliche Handlungsfähigkeit in sozialen und schulischen Situationen. Damit die Kinder die Ziele erreichen, werden sie neben dem DaZ-Unterricht, den sie während mehreren Stunden pro Woche besuchen, auch im Unterrichtsalltag von der Regelklassenlehrperson sprachlich unterstützt.

«Der Weg führt über Austausch und Beziehung, nicht über formal korrekte Sätze»

Inge Rychener ist Leiterin Weiterbildungen & Dienstleistungen und Studiengangleiterin des CAS DaZ.

Inge, welches sind die Besonderheiten des Zweitspracherwerbs?

Inge Rychener: Eigentlich gibt es kaum Unterschiede zum Erstspracherwerb, insbesondere, wenn die zweite Sprache im jungen Alter gelernt wird. Eine Sprache lernt man, um sich auszutauschen und um Beziehungen zu pflegen. Die Fähigkeit, etwas zu erklären, zu berichten, von einem spannenden Erlebnis zu erzählen, einen Vortrag halten zu können usw. setzt in erster Linie Kompetenzen im pragmatischen (Sprachhandeln) und im semantischen Bereich (Sprachbedeutung) voraus. Deshalb setzt die Sprachförderung auch dort an und nicht etwa bei Grammatikübungen.

Es geht also um die Beziehung...

...ja, nur wenn Kinder sich in ihren Interessen wahrgenommen und als Mensch ernstgenommen fühlen, können sie die neue Sprache lernen. Der Weg führt über den Austausch und die Beziehung, nicht über formal korrekte Sätze. Eine Sprache zu lernen bedeutet ja nicht einfach, grammatische Strukturen zu beherrschen, sondern auch zum Beispiel die Fähigkeit, sich in jemanden hineinzuversetzen, Symbole zu verstehen und schliesslich auch zwischen den Zeilen-Gesagtes zu erkennen. Besonders am Zweitspracherwerb ist vielleicht, dass Kinder, die DaZ lernen, beispielsweise bereits wissen, dass Dinge Namen haben und wir mit Worten etwas erreichen können.

Wie beeinflusst die erste Sprache möglicherweise die zweite?

Dazu gibt es mehrere Hypothesen, von denen allerdings keine schlüssig klärt, wie sich die Erstsprache auf die zweite auswirkt. Die Transferhypothese beispielsweise besagt, dass Strukturen oder Regeln aus der Erstsprache auf die Zweitsprache übertragen werden. Da einige Sprachen keine Artikel kennen, würde diese Hypothese erklären, warum es einigen Kindern schwerfällt, Artikel anzuwenden. Für DaZ-Lehrpersonen ist es wichtig, diese Hypothesen zu kennen, damit sie sich «Fehler» der DaZ-Kinder erklären und somit ein grösseres Verständnis für die Lernenden aufbringen können.

Wie regt man sprachliche Lernprozesse in der sozialen Auseinandersetzung an?

Indem ich den Kindern authentische Spiel- und Lernangebote mache, die zum Austauschen und Aushandeln anregen und gleichzeitig ein sprachliches Lernziel verfolgen. Wenn ich zusätzlich darauf achte, dass das Spiel ungekünstelt zu Wiederholungen auffordert, ermögliche ich den Kindern, Muster zu erkennen und zu üben. Im Vordergrund steht dabei immer das Spiel, nie die grammatische Korrektheit. Die Lehrperson ermöglicht dem Kind das beiläufig gesteuerte Lernen im Alltag, indem sie Spiel- und Lernangebote vorbereitet, die zielsprachliche Formulierungen natürlich hervorrufen. Das ist eine der Herausforderungen für DaZ-Lehrpersonen: Wie kann sie die sprachlichen Lernziele in Spiele und Lernangebote so einplanen, dass das Spiel im Vordergrund bleibt und nicht von der sprachlichen Korrektheit überlagert wird? Sehr gut eignen sich zum Beispiel Bewegungs- oder Singspiele draussen in der Natur oder Handlungen am Tisch, indem beispielsweise gemeinsam etwas konstruiert wird.

Wie können Bezüge zu den Erstsprachen der Kinder hergestellt werden?

Die Erstsprache der Kinder regelmässig im Lernangebot einzubauen ist wichtig, um den Kindern einerseits eine Wertschätzung ihrer mehrsprachigen Kompetenzen entgegenzubringen und andererseits, um die Vielfalt als Bereicherung zu anerkennen. Die Forderung, nur noch Deutsch zu sprechen – beispielsweise im Klassenzimmer – trägt nicht dazu bei, die deutsche Sprache schneller zu lernen. Im Gegenteil, N. Auger hat nachgewiesen, dass auch deutschsprachige Kinder ihre Deutschkompetenzen verbessern, wenn die Sprachenvielfalt beispielsweise zu Sprachvergleichen führt. Die Erstsprachen der Kinder können täglich miteinbezogen werden, wenn beispielsweise die Würfelzahlen beim Spiel in den Erstsprachen gesagt werden, wenn die Spielfiguren Namen aus den Ländern der Kinder haben oder wenn die Schlüsselbegriffe des Themas von den Eltern übersetzt werden, zum Beispiel per Sprachnachricht. Dies führt gleichzeitig dazu, dass die Eltern wissen, was in der Schule behandelt wird und sie können mit ihrem Kind darüber sprechen.

Herzlichen Dank, Inge, für das interessante Gespräch.