Violett und Rot: Auch die Frauen von unterstrass.edu streiken.

«Sanft und weiblich gehören immer noch zusammen»: Eva Hug zum Frauenstreiktag

Zürich, 17.06.2019

Einige Dozentinnen haben am Frauenstreiktag auf dem Campus Studierende und Schülerinnen und Schüler eingeladen, um gemeinsam über Gleichstellungsthemen nachzudenken und Plakate zu gestalten. Die Historikerin Eva Hug ist eine von ihnen: Sie erklärt im Interview, wo es für Lehrerinnen dringend Handlungsbedarf gibt.

Eva, du und ein paar Kolleginnen vom Institut habt für den heutigen Frauenstreik einen Streik organisiert: Wie kam es dazu?

Eva Hug: Für den heutigen Tag organisieren Frauen in unzähligen Firmen und Organisationen etwas. Wir natürlich auch. Es gibt viel zum Gleichstellen. Etwas vom Leichtesten, was zu begreifen wäre, ist die extreme finanzielle Ungleichheit. Das beginnt mit den ungleichen Löhnen, der gratis geleisteten Reproduktionsarbeit und endet mit den Renten. Die Frauen in der Schweiz kriegen im Durchschnitt 37% weniger Rente als die Männer, was eine Studie im Auftrag des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigt

...gilt das auch für Lehrerinnen?

Ja, sobald sie Kinder kriegen und Teilzeit arbeiten – was die meisten Frauen mit Kindern tun. Und dies wirkt sich nicht nur auf den Lohn aus, sondern eben auch auf die Renten. Noch immer nicht angeglichen sind auch die Löhne auf der Kindergartenstufe.

Kannst du das erklären? Dieser Punkt wurde auch auf einem der Plakate erwähnt.

Die Kindergärtnerinnen sind immer noch auf einer anderen Lohnstufe als die Primarlehrpersonen. Ihre Unterrichtszeit von 24 Lektionen wird mit dem neuen Berufsauftrag nicht als volles Pensum anerkannt. Sie verdienen also gut 20'000 Franken pro Jahr weniger als Primarlehrerinnen. Dass der Beruf so geringgeschätzt und deshalb tief entlöhnt wird, ist historisch begründet. Der Kindergarten gehörte bis 2005 nicht zur Schule. Die alte Bezeichnung Chindsgi-Tante weist darauf hin, dass der Beruf als erweiterte Familienarbeit gesehen wurde. Und die ist ja bekanntlich gratis, weil sie in der «Natur» der Frau liegt und aus Liebe gemacht wird. Es ist in ihren «Trieben», sie kann gar nicht anders.

Was sind weitere Themen, die du heute mit jungen Frauen diskutiert hast?

Die Studentinnen haben mich darauf aufmerksam gemacht, dass die Sexualaufklärung an Schulen nicht zeitgemäss sei. Man zeigt beispielsweise in einer 6. Klasse Verhütungsmittel, wovon 30 für Mädchen und zwei für Knaben sind. Kein Wunder, lieben die Mädchen diese Lektionen nicht. Ausserdem gäbe es in der Sprache nach wie vor einiges zu tun. Positiv konnotierte Begriffe für sexuell aktive Frauen gibt es im Deutschen nicht. Sie werden als Schlampen, Huren usw. bezeichnet. Für Männer gibt es hingegen viele Bezeichnungen und sie sind positiv besetzt. Die Studentinnen haben vorgeschlagen, dass man neue Wörter erfinden oder aus einem anderen Zusammenhang verwenden könnte.

Wenn die Frauen heute an die Demo gehen, was gibst du ihnen persönlich mit?

Sie werden viele neue Informationen erhalten. Sie werden erstaunt sein, wie viele konkrete Benachteiligungen es gibt. Beispielsweise sind Hygieneartikel für Frauen höher besteuert als diejenigen für Männer. Auch erfahren sie, wie viel Geld ihnen vorenthalten wird. Die Ökonomin Mascha Madörin hat ausgerechnet, dass Frauen jährlich informelle Mehrarbeit im Wert von 85 Milliarden Franken leisten. Das muss man sich mal vorstellen!

Was hat sich in den letzten Jahren verbessert?

Was ich bei den Studentinnen der letzten 15 Jahre beobachtet habe, ist, dass das Wissen über Gender grösser ist als früher. Das Wissen, dass das Geschlecht fluid ist, ist im Mainstream bei den Jungen angekommen. Am Gymi entstehen seit kurzem sogar Maturarbeiten zu diesem Thema. Das wäre vor zehn Jahren nicht vorgekommen. Das nützt der Gleichstellung insofern, als dass es das Bewusstsein schärft, dass die Dinge fliessend sind.

Es ist wichtig, dass für Rollenmodelle schon auf der Primarstufe sensibilisiert wird. Was beobachtest du da?

Es ist immer noch weitverbreitet, dass Mädchen quasi als Sozialarbeiterin eingesetzt werden. Sie werden neben die «wilden» Knaben gesetzt, damit sie eine beruhigende Wirkung auf sie haben. Sie sollen ihnen helfen, die richtigen Sachen bereit zu halten. Von den Knaben wird angenommen, dass sie dies «von Natur» aus weniger gut können und mehr Bewegungsfreiheit brauchen. Wenn man so denkt, ist es kein Wunder, dass es dann auch so ist. In der Schule wird viel wertvolle Unterrichtszeit verbraucht um Probleme zu lösen, die von Knaben verschuldet sind. Beispielsweise sind sie nach der Pause wütend, weil es Streit im Fussball gab. Dann wird dies mit der ganzen Klasse besprochen. Diese Denkmuster – den männlichen Geschöpfen automatisch mehr Zeit und Aufmerksamkeit entgegenzubringen – sind gerade in der Schweiz historisch tief verankert. Die älteste Demokratie hat es geschafft, als letzte mit dem Frauenstimmrecht wirklich demokratisch zu werden. Zu wenige Frauen hatten sich getraut, zu fordern anstatt zu bitten. Ich kann mich erinnern, dass sich meine ganze Verwandtschaft über die Feministin Iris von Rothen lustig gemacht hat. Auch die Frauen in der Küche haben gesagt, «sie ist ja wirklich ein bisschen komisch».

Was beobachtest du heute bei den Studentinnen: Nehmen sie Begriffe wie Feministin oder Emanze in den Mund?

Nein, das tun sie nicht. Ich beobachte, dass sie sehr vorsichtig sind. Die Begriffe wurden seit den 1980er Jahren schlecht gemacht. Aber auch mit dem Auftreten ist es so: Sanft und weiblich gehören immer noch zusammen. Leider ist es aber mit solchen Eigenschaften schwierig, sich Gehör zu verschaffen…

Herzlichen Dank, Eva, für das spannende Gespräch.