Bilanz zum ChagALL Jahrgang 11
Die Stunde der Wahrheit rückt für die jungen Migrantinnen und Migranten aus dem 11. ChagALL Jahrgang näher. Es zeigt sich bald, ob ihre Vorbereitungen im Förderprogramm «Chancengerechtigkeit durch Arbeit an der Lernlaufbahn» Früchte tragen. Erreichen sie ihr Ziel, die Aufnahmeprüfungen an ein Gymnasium, eine Fachmittelschule oder BMS zu schaffen, werden sie mit ChagALL+ durch die Probezeit begleitet. Der Programmleiter Stefan Marcec sieht der ersten Hürde gelassen entgegen.
Stefan, bist du zuversichtlich, was den Erfolg des Jahrgangs 11 anbelangt?
Stefan Marcec: Ja, sehr. Es gibt wohl wenige, die kaum eine Chance haben, ein paar, bei denen ich etwas unsicher bin und eine Gruppe, von der ich genau weiss, dass sie es packt. Der Fleiss und die Dauer des Aufenthalts in der Schweiz sind sicher ausschlaggebende Faktoren. Fleiss ist aber immer noch keine Garantie: Diejenigen, die es schaffen, sind meist Leute, die schon einmal an einer zentralen Aufnahmeprüfung angetreten sind. ChagALL gibt ihnen den letzten Kick und Struktur sowie Selbstvertrauen. Wir machen ja nicht einfach Wissensvermittlung, sondern ein sehr breites Training und Coaching.
Vor den Anmeldungen für «ChagALL 11» wurde im Schweizer Fernsehen der Dokumentarfilm «Der Kraftakt» ausgestrahlt, der zeigt, wie du zusammen mit Trainerinnen junge Migrantinnen und Migranten förderst. Hat deswegen ein spezieller Andrang stattgefunden?
Wir hatten noch nie so viele Anmeldungen wie in diesem Jahr, nämlich 53. Über die Ursachen kann ich natürlich nur spekulieren. Normalerweise sind es nicht über 35. Dafür gibt es sicher mehrere Faktoren, der Film ist einer davon. Ein weiterer Grund ist, dass die Rekrutierung etwas ausgedehnt wurde. Die damalige Gymi-Assistentin und ich haben sämtliche Sekundarschulleiter kontaktiert und angefragt, ob sie Empfehlungen für geeignete Schülerinnen und Schüler haben.
Sind es die Klassenlehrpersonen an den Sekundarschulen, welche ihre Schützlinge an Chagall heranführen?
Ja, ausschliesslich. Manchmal ist es so, dass die Schülerinnen und Schüler vom Projekt gehört haben. Die Anmeldung kann aber nur über die Sekundarlehrperson passieren.
Wie viele konntest du letztlich im ChagALL Jahrgang 11 aufnehmen?
24 Schülerinnen und Schüler.
Was macht dir klar: Den oder die möchte ich im Programm?
Es ist ein dreistufiger Selektionsprozess. Wir haben K.o.-Kriterien. Zwingend ist der Migrationshintergrund: Beide Eltern müssen fremdsprachig und finanziell bescheiden aufgestellt sein. Wenn dann für einen Schüler oder eine Schülerin eine Empfehlung der Sekundarlehrperson vorliegt, testen wir die Vorleistungen, die Intelligenz und die Arbeitshaltung. In einem dritten Schritt erfolgt ein persönliches Bewerbungsgespräch. Denn eine immense intrinsische Motivation ist zentral: Das Programm ist wirklich sehr streng. Die Schülerinnen und Schüler geben ihre Mittwoch-Nachmittage und Samstag-Vormittage dafür her, sie müssen ihre Hobbys massiv einschränken.
Viele «Chagallistinnen» und «Chagallisten» haben herausragende Hobbys und Fertigkeiten, was ChagALL-Feiern immer sehr lebendig und spannend macht: indisch tanzen, Farsi schreiben etc. Gibt es auch in diesem Jahrgang Herausstechendes?
Das ist schwierig zu beantworten, mit 24 Leuten hat man enorm viel zu tun, deshalb bekomme ich nicht alles mit, was diese können und machen. Von den Nationalitäten her spüren wir die Migrationsthemen sehr stark. Im Jahr 2009, als wir mit dem Programm begonnen haben, haben wir die Ausläufer der Balkankrise gespürt, wir hatten Jugendliche aus ganz Ex-Jugoslawien. Afrika war lange prominent vertreten, später Afghanistan, Iran und Syrien. Manche sind beispielsweise in Syrien und dann später in Afghanistan aufgewachsen, viele waren recht mobil. Daher ist die Frage, von welchem Land jemand stammt, gar nicht so leicht zu beantworten.
Wie ist es mit der Verteilung von Mädchen und Jungs?
Wir haben interessanterweise meistens mehr Mädchen, die aufgenommen werden. Eine Nation, die übrigens fast immer vertreten ist, ist Sri Lanka. Tamilische Schülerinnen und Schüler sind sehr fleissig. In ChagALL 11 haben wir ausserdem einen Chinesen dabei.
Du hast gesagt, dass ChagALL bedeutend angewachsen ist. Muss das Förderprogramm expandieren oder kann unterstrass.edu noch alles abdecken?
Die Stiftungen, die uns Geld gesprochen haben, haben ganz klar gewünscht, dass wir weitere Projekte in der Schweizer Bildungslandschaft implementieren. Sie sind nicht bereit, eine Einstagsfliege zu bezahlen. Es gibt beispielsweise «chagall.ch», in dem es darum geht, das Programm weiterzuverbreiten. Neuerdings können diese Schulen auf die Unterstützung eines Fonds zählen. Zum Beispiel hat die Kantonsschule Baden im Januar ein auf ihre Verhältnisse zugeschnittenes ChagALL-Programm gestartet. Ausserdem gibt es noch ChaBâle in Basel. Zusätzlich existieren einige von uns inspirierte Programme, die sich der Förderung von Migrantenjugendlichen am Übergang von der 6. Klasse in die Oberstufe angenommen haben.